Vera: Ich grüße Sie ganz herzlich.
Ich bedanke mich sehr für diese Gelegenheit, mich und meine Arbeit
vorzustellen. Ich heiße Vera Nkenyi Ayemle. Ich bin in Kamerun geboren
und aufgewachsen. Ich bin verheiratet, Mutter von zwei Kindern und wohne
in Oberesslingen. Vor 11 Jahren habe ich Kamerun für meine neues
zuhause in Esslingen verlassen. Nach meinem Studium der Sozialpädagogik
an der HS Esslingen gründete ich den Verein Sompon Socialservice zur
Stärkung und Förderung von Kindern, Jugendlichen und Familien mit
Migrationshintergrund. Neben meiner Tätigkeit als Geschäftsführerin,
Beraterin und Lehrbeauftragte an der HS Esslingen bin ich viel im
bürgerschaftlichen ehrenamtlichen Engagement unterwegs.
a Sister in Germany: Ich habe gelesen, dass die Liebe Sie nach Deutschland geführt hat. Richtig?
Vera: Ja! Mein Leben basiert auf
liebe. Die liebe war einer der Gründe, warum ich nach Deutschland
gekommen bin. Nach meinem Abitur studierte ich Jura und beschloss nach
dem Vordiplom, nach Deutschland zu reisen. Meine Eltern musste ich aber
erst noch von einer Deutschlandreise überzeugen. Ich erzählte meinen
Eltern, dass ich Interesse an anderen Kulturen und Sprachen hatte. In
Wahrheit hatte mich nicht nur die Leidenschaft für Kulturen und Sprachen
gepackt, sondern auch ein junger Mann namens John. John war mein Freund
bzw. mein Verlobter gewesen. Nach seinem zwei-jährigen Aufenthalt in
Deutschland ging unsere Beziehung in die Brüche. Er änderte seine
Meinung mir gegenüber und heiratete eine andere Frau, von der er mir
nichts erzählte. Ich traute mich nicht, ihn deswegen anzusprechen.
Dennoch stellte ich mir viele Fragen. Ich dachte, dass sich etwas
Wunderbares oder Spezielles in Deutschland befinden müsste, wenn unsere
Beziehung nach einem Deutschlandaufenthalt kaputt gehen musste. War
Deutschland der Grund dafür oder war einzig und allein John der Grund
dafür? Vielleicht war auch ich der Grund dafür? Warum sagte er mir
damals nichts? Ich verstand die Welt nicht mehr. Ich entschied mich dann
auch, nach Deutschland zu reisen. Ich musste wissen und sehen, was es
wirklich mit Deutschland auf sich hatte. Ich wollte etwas Anderes
erleben! Oder besser gesagt, ich wollte das „Warum“ hinter dieser
Situation ergründen. Dafür musste ich nach Deutschland und erfand für
meine Eltern irgendeine Geschichte mit Kultur und Sprache. Egal aus
welchem Grund ich damals nach Deutschland gekommen bin, heute bereue ich
es nicht, diesen weiten Flug von meinem Heimatland hierher
unternommen zu haben. Glücklicherweise habe ich hier die liebe
gefunden, meinen charmanten und liebevollen Mann Richard kennengelernt,
mit dem ich mittlerweile zwei wunderbare Kinder habe. Großartig, oder?
Wie gesagt, das Geheimnis meiner Reise war ein Mann und ich fand im
Laufe meiner Zeit hier den besten Mann aller!
a Sister in Germany: Heute bist du eine erfolgreiche Sozialpädagogin, Grunderin und Geschäftsführerin von Sompon Social Services . An welchem Punkt in Ihrem Leben haben Sie gemerkt, Sie mussten diese Wendung nehmen?
Vera: In den Jahren bevor
ich mich entschied nach Deutschland zu kommen, um hier mein Studium
fortzusetzen, war ich der Überzeugung, Deutschland sei ein Land, in dem
Milch und Honig fließen. Man hatte mir nur die schöne Seite dieses
Landes gezeigt. Wie so viele andere Migrant_innen auch war ich sehr froh
und dankbar für diese grosse Chance in meinem Leben. Sicherlich könnte
man Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern, insbesondere zu
Ländern Afrikas, als Paradies bezeichnen, dennoch profitieren nicht
alle, die in Deutschland leben, von diesem Wohlstand. Und die Gründe
dafür sind vielfältig. Es gibt auch hierzulande genügend Kinder und
Familien, die in Not sind. Oft fehlen lebensnotwendige Güter, wie
Unterstützung und Zugang zu Bildungseinrichtungen und
Freizeitaktivitäten. Als Migrant_innen vor allem mit afrikanischer
Herkunft muss man oft doppelt so viel leisten, um so gut wie deutsche
Mitbürge_innen zu sein. Es kostet Kraft, Überwindung und viel Engagement
sich in seiner neuen Heimat einzubinden und Anschluss zu finden.
Aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen entschied ich mich im Jahr
2009, den Verein Sompon Socialservice e.V. zu gründen. Ziel war und ist
es bis heute Kindern, Jugendlichen und Familien mit
Migrationshintergrund, insbesondere afrikanischer Herkunft, bei der
Bewältigung von Krisen, Erziehungsschwierigkeiten, Bildungs- und
konkreten Alltagsproblemen zu helfen. Sowie auch bei der Integration in
ihr neues Umfeld sozialpädagogisch zur Seite zu stehen, zu betreuen und
zu unterstützen. Dazu auch die Kultur Afrikas einem breiten Publikum
näherzubringen.
a Sister in Germany: Wir werden wieder auf Sompon Social Services kommen. Ich möchte so gern über Vera, die Politikerin reden. Wie anders ist die Politikerin Vera Ayemle von Mama Vera, Ehefrau und Mutter und die Sozialpädagogin?
Vera: Als Politikern, meine Gedanken sind
frei. Ich habe Ziele und Interesse für den ich kämpfe und einsetzen
möchte. Da braucht man anderen Eigenschaften: Langer Atem!
Hartnäckigkeit, Diplomatie, Anpassungsfähigkeit und auch
Durchsetzungsvermögen. Als Mutter bin ich natürlich! Bin ich selbst und
rede „normal“. Da braucht ich aber andere Eigenschaften: Hoffnung,
Glauben und die liebe. Dennoch bin Ich leidenschaftlich Pädagogin. Das
beeinflusst meine Rolle als Mutter und auch als Politikern. Ich
Reflextiere sehr, stelle viele Fragen, bin bereit zu lernen, denn lernen
ist für das ganze Leben und versuch der anderen zu verstehen.
a Sister in Germany: Warum und wann haben Sie beschlossen, für die bevorstehenden Kommunalwahlen zu kandidieren?
Vera: Mir fällt ein Spruch aus der Sprüche, der sagt: “Für alles gibt es
eine Zeit“. Und ich denke, dass die Zeit gekommen ist: Zeit für eine
Veränderung. Zeit unsere Esslingen gemeinsam zu gestalten. Gemeinsam mit
allen Bürger_innen, seien es Afrikaner, Deutsche, Migrant_innen, Männer
oder Frauen, Jung oder Alt – nur gemeinsam sind wir stark.
a Sister in Germany: Jetzt vielleicht eine kleine aber wichtige Frage für unsere Lesen. Was macht eine Gemeinderätin?
Vera: Eine Gemeinderätin berät die Stadtverwaltung und vertritt das Interesse der Bürger_innen.
a Sister in Germany: Warum SPD? Es gibt viele Partein in Deutschland.
Vera: Die SPD vertritt meine Werte: Solidarität und Freiheit.
a Sister in Germany: Was ist ihre politische Agenda für Esslingen?
Vera: Ich stehe für Chancengleichheit für alle, unabhängig von Herkunft,
Hautfarbe und Elternhaus. Weil Ungleichheit nicht naturgegeben ist. Und
ich bin für ein buntes Esslingen, in dem Vielfalt als Reichtum
verstanden wird, wo man voreinander lernt und in dem Bewusstsein lebt,
Teil einer Welt zu sein. Ich möchte helfen, eine solche Stadt des
Miteinanders zu gestalten.
a Sister in Germany: Das bringt uns zurück zu der bereits beeindruckenden Auswirkung von Sompon Social Services in Esslinglen und Stuttgart. Was ist die wörtliche Bedeutung von "Sompon"?
Vera: Der Name „Sompon“ kommt ursprünglich
von Stamm der Bagam im Westen Kameruns. Er bedeutet so viel wie „etwas
Schönes“. Deshalb hat es sich der Sompon Socialservice e.V. zur Aufgabe
gemacht etwas Schönes an Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kultur,
Sprache, unterschiedlichen Alters, Geschlechts, Aussehens und Ansehens
weiterzugeben.
Seit über vier Jahren ist Sompon Socialservice in den folgenden
verschiedenen Arbeitsbereichen tätig: der Elternbildungsarbeit, der
Frauenarbeit, der sozialpädagogischen Familienhilfe, der Kinder- und
Jugendarbeit und der Entwicklungspolitik.
Sompon Socialservice ist ein gemeinnütziger Verein mit einem
Präventiven und interkulturell ausgerichteten sozialpädagogischen
Profil, der in der Kinder,- Jugend,- und Familienhilfe tätig ist. Der
Verein ist gemäß §75 Sozialgesetzbuch VIII (SGB VIII) als Träger der
freien Jugendhilfe und als Träger der außerschulischen Jugendbildung
nach §4 Jugendbildungsgesetz(JBG) anerkannt
Sompon Socialservice setzt sich mit zahlreichen Aktivitäten und
Angeboten für eine bessere Integration insbesondere von Menschen
afrikanischer Herkunft ein. Beratung bei Alltagsproblemen, Angebote zur
Schulvorbereitung und Nachhilfeangebote, Elternkurse und
Informationsveranstaltungen sowie Freizeitaktivitäten fördern die
gesellschaftliche Teilhabe. Erfreulich ist dabei, dass die Angebote für
alle Bürger und Bürgerinnen offen sind. Vorurteile werden somit
abgebaut, das gegenseitige Kennenlernen und insgesamt ein friedliches
Miteinander werden gefördert.
a Sister in Germany: Das ist aber anspruchsvolle Arbeit ohne Unterstützung anderer....
Vera: Derzeit wird der Verein durch das Engagement unserer Mitglieder und
ehrenamtlichen Helfern getragen, aber wir brauchen Institutionelle u.a.
Strukturelle Förderung und Personale Förderung, Räumlichkeit, samt
Grundausstattung für die Umsetzung und Gestaltung unserer Arbeit. Damit
unser Verein ein attraktiver Treffpunkt für unsere kleinsten Mitbürger
und Familien wird und bleibt.
Es kostet Kraft, Überwindung und viel Engagement sich in seiner
neuen Heimat einzubinden und Anschluss zu finden. Wir helfen dabei,
helfen sie uns unsere Arbeit weiter gut zu leisten.
a Sister in Germany:Was denken Sie, ist die größte Herausforderung der Migrantengemeinschaft und Menschen afrikanischer Abstammung insbesondere in Deutschland?
Vera: Mangeln an Vorbilder: Ohne die
Einbeziehung von Menschen mit Migrationsgeschichte werden Kinder
mit Migrationsgeschichte weiterhin keine Bindung und kein
Zugehörigkeitsgefühl zu Deutschlandentwickeln. Sie brauchen Vorbilder
mit ähnlichem Hintergrund wie sie, die es plakativ in diesem Land zu
etwas gebracht haben. Sie brauchen Vorbilder, die sie positiv
beeinflussen können. Sie brauchen feste Beispiele, Mentoren und
Vorläufer, die ihnen den Weg vorbereiten konnten. Kinder und Jugendliche
haben hierzulande aber noch sehr wenige solcher Vorbilder. Kinder mit
Migrationshintergrund wollen spüren und konkret sehen, dass das Gesetz
für alle gleich ist. Diese Kinder und Jugendlichen sind hier geboren.
Sie gehen hier in die Schule und wollen später (hier) einen Beruf
erlernen. Durch gezielte Einbeziehung von Migrant_innen, insbesondere
solche mit afrikanischer Herkunft, realisieren die Kinder und
Jugendlichen, dass auch sie in unserer Gesellschaft einen Platz haben
und keinen minderwertigeren, wohl gemerkt.
Mangelnde Deutschkenntnisse
der Migranten sind häufig ein zentraler Faktor, der eine Eingliederung
ins Berufsleben verhindert bzw. auf niedrigqualifizierte Tätigkeiten
verweist. Viele Migranten erleben, dass eine Teilhabe am Bildungsprozess
in Schule und Ausbildung auch durch Diskriminierung erschwert wird und
finden sich in unterbezahlten, kurzfristigen Arbeitsverhältnissen
wieder, obwohl sie hochmotiviert sind und großes Interesse
an beruflichen Qualifizierungen und Weiterbildungsmaßnahmen zeigen.
Arbeitslosigkeit hat zur Folge, dass sich die Frauen und Männer
minderwertig und überflüssig fühlen und keine Chance sehen, angemessene
und gewünschte Arbeitsverhältnisse erreichen zu können.
Migranten werden nicht selten
als Objekte behandelt, die Hilfe und Unterstützung brauchen, und nicht
als Menschen, die ihre eigenen Vorstellungen haben und diese zu
verwirklichen versuchen. Sie werden hingegen in der deutschen
Öffentlichkeit als homogene Gruppe betrachtet, die an Bräuchen
orientiert ist, einem rigiden Werte- und Normensystem verhaftet ist und
sich nicht an gesellschaftlichen Prozessen beteiligt
a Sister in Germany:
Welchen Rat haben Sie für Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland?
Vera: Ich wünsche mir für die Zukunft in Deutschland, und vor allem für
Kinder und Jugendliche mit afrikanischer und afro-deutscher Herkunft,
fairere Chancen, mehr Gerechtigkeit und wahre Perspektiven. Ich hoffe,
dass die Politik das Potential Migrant_innen erkennt und fördert. Die
amerikanische Schriftstellerin Pat Parker sagte mal: „Vergiss, dass ich
schwarz bin...vergiss nie, dass ich Schwarze bin….“ Wenn wir nur
wussten, wie sich Kinder und Jugendliche mit afrikanischer und
afro-deutschem Hintergrund fühlen. Dann werden wir alles in unserer
Macht stehende tun, um diesen Kindern und Jugendlichen, eine Heimat zu
schenken. Denn viele sind heimatlos. Es fehlt ihnen eine Zugehörigkeit
aufgrund ihrer Identität, Hautfarbe und der Herkunft ihrer Eltern.
Für ein gutes Miteinander sind Offenheit, Respekt, Anerkennung und
Anpassungsfähigkeit gefragt, von allen. Vorurteile hemmen nur das Leben
miteinander sowie auch das Gelingen der Integration. Als afro -
deutscher Mitbürgerin bzw. als Esslingerin fühle ich mich verpflichtet,
mich bürgerschaftlich zu engagieren. Also etwas für anderen zu tun, für
meine Kinder ein Wegweiser zu sein und für mich gemeinsam mit anderen
Gleichgesinnten unsere Welt, unser Deutschland und unser Esslingen zu
gestalten. Menschen mit Migrationshintergrund sollen sich in ihrer neuen
Heimat nämlich wohlfühlen können und dazu gehört das Gefühl, integriert
zu sein und dazu zugehören.
Man kann nicht leugnen, dass
als Migrant, v.a. afrikanischer Herkunft, also als
Dunkelhäutiger,…dass es öfters schwieriger ist in dieser neuen Heimat,
Fuß zu fassen. Aber Hoffnung besteht, denn wo der Wille ist, ist
oftmals ein Weg, wie dieses Sprichwort zu Recht sagt.
a Sister in Germany: Wenn Sie ein Vermächtnis hinterlassen müssen .. was soll das sein?
Vera: Engagement! Ehrlichkeit! Zuverlässigkeit! Positives Denken und die liebe sind guter Begleiter fürs leben.